top of page

Reisebericht Praktikum in Bulgarien Ruse 2025

  • Autorenbild: ETOS Redaktion
    ETOS Redaktion
  • 25. Apr.
  • 5 Min. Lesezeit

Здравейте (Zdraveĭte)!


Wir, Alina, Carlotta, Finja und Leoni, hatten die Möglichkeit über Erasmus+ vier Wochen nach Ruse in Bulgarien zu fahren, um dort praktische Erfahrungen in der Ergotherapie zu sammeln.




Auf dem Weg nach Bukarest
Auf dem Weg nach Bukarest

Nach einer zweitägigen Zugfahrt durch Deutschland, Österreich, Ungarn und Rumänien kamen wir pünktlich in Bukarest an. Von dort aus brachte uns ein Taxi über die Donau nach Ruse.

Am nächsten Tag lernten wir Liliya, unsere Koordinationsleiterin, Begründerin der Ergotherapie in Bulgarien und Ergotherapiedozentin an der Universität in Ruse, persönlich kennen. Bei köstlichem bulgarischem Gebäck klärten wir organisatorische Fragen und erhielten Informationen über unsere praktische Tätigkeit in zwei verschiedenen Einsatzstellen.


Gemeinsam mit ihr liefen wir über Schnee und Eis zu einer unserer beiden Einsatzstellen. Sie ist mit einer pädiatrischen Ergotherapiepraxis vergleichbar. Wir betraten einen großen Raum voller unterschiedlicher Therapiematerialien und Spielzeug, in dem zwei Ergotherapeutinnen gerade zusammen ein Kind behandelten. Wir wurden von allen freundlich begrüßt und lernten das bulgarische Wort für Klatschen: пляскам (plyaskam).


Hier noch ein paar mehr Informationen zu der Einsatzstelle:

In diesem einen Raum, der als Garderobe, Behandlungsraum, Büro, Wartezimmer usw. dient, bieten die beiden Ergotherapeutinnen von 8:30 Uhr bis 18:10 Uhr im 40-Minuten Takt Ergotherapie für Kinder und Jugendliche an. Je nach Art und Ausmaß der Einschränkungen und Therapieziele werden zwei Kinder parallel oder ein Kind von beiden Therapeutinnen zusammen behandelt. Die meisten der Kinder und Jugendliche, die wir in der Therapie dort gesehen haben, waren von Cerebralparese, Autismus oder genetischen Störungen betroffen und wiesen mittlere bis starke Einschränkungen in der Teilhabe am täglichen Leben auf. Als Interventionsform wurde häufig die Sensorische Integrationstherapie gewählt, auf dieser aufbauend wurden durch verschiedene Maßnahmen Aktivitäten und Betätigungen adressiert, z.B. das Anziehen von Kleidungsstücken, das Schreiben oder das Essen. Auch wenn die sprachliche Barriere uns die Interaktion mit den Kindern erschwerte, konnten wir dennoch, besonders durch die Erklärungen und Beobachtungen der beiden Ergos, viele Einblicke erhalten und einiges lernen.


Zwei Tage später besuchten wir, wieder gemeinsam mit Liliya, unsere zweite Einsatzstelle, eine Tagesbetreuung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Beeinträchtigungen. Dort wurden wir ebenfalls sehr freundlich empfangen. Ein Ergotherapeut und eine Physiotherapeutin führten uns durch die Räumlichkeiten und stellten uns das weitere Personal und die Klient*innen vor.


Auch zu dieser Stelle ein paar Informationen:

Die Klient*innen, die in dieser Einrichtung betreut werden, haben unterschiedliche geistige Beeinträchtigungen, häufig auch in Kombination mit weiteren Diagnosen, z.B. Autismus-Spektrum-Störung. Die Betreuung wird von Ergotherapeut*innen, einer Physiotherapeutin, einer Musiktherapeut*innen, Sonderpädagog*innen und Pflegekräften in einem hohen Personalschlüssel übernommen, die sehr eng miteinander zusammenarbeiten. Zwischen 8:00 und 15:00 Uhr findet ein Tagesprogramm mit drei Mahlzeiten (Frühstück, Mittagessen, Nachmittagssnack) statt. Ein gewöhnlicher Tag startet mit einer Morgenrunde, in der über die Programmpunkte gesprochen wird und die Dienste für den Tag verteilt werden, z.B. Küchendienst. Nach dem Frühstück findet in der Regel eine edukative Einheit über unterschiedliche Themen statt, beispielsweise zu Gefühlen, worauf ein kreatives Angebot, z.B. Kerzen gießen, Seifen herstellen folgt. Anschließend an das Mittagessen findet eine einstündige Mittagsruhe statt, in der die Klient*innen es sich in den Gruppenräumen gemütlich machen. Nachmittags bietet die Physiotherapeutin bei gutem Wetter draußen für eine Kleingruppe eine Bewegungseinheit an oder es werden kreative Projekte vom Vormittag fertiggestellt. Die Klient*innen nehmen an diesem Programm im Rahmen ihrer Möglichkeiten teil oder werden separat in den übrigen Räumen durch Fachpersonal einzeln betreut. Besondere Highlights stellen das Feiern von Festen, wie Geburtstage und Baba Marta, und Ausflüge, beispielsweise in den Supermarkt, das Einkaufszentrum oder das Kino, dar. Aus unserer Perspektive war es besonders interessant, die Personen der unterschiedlichen Disziplinen im engen Kontakt und regen Austausch zusammenarbeiten zu sehen.


In den vier Wochen sind wir im Rahmen unserer zeitlichen Möglichkeiten, neben Veranstaltungen der Hochschule Osnabrück und der Modularbeit, halbtags an den beiden Einsatzstellen gewesen. Außerdem hatten wir die Chance, einen Einblick in drei weitere ergotherapeutische Arbeitsstellen zu erhalten. Hierbei handelte es sich um ein Pflegeheim für Menschen mit physischen, neurologischen Erkrankungen in Ruse, um eine Tagesbetreuung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigungen und/oder sozialen Auffälligkeiten und um ein Therapie- und Bildungsangebot für Familien in prekären Verhältnissen im ländlichen Raum.


Ein kurzer Einschub zur Ergotherapie in Bulgarien: Dort gibt es diesen Beruf und das berufsqualifizierende Studium seit 19 Jahren. Liliya und Petiya, unsere Koordinationsleiterinnen in Bulgarien, haben den Beruf auf einem Projekttreffen in Rumänien kennengelernt und die Berufsausbildung mithilfe der niederländischen Ergotherapeutin Hanneke De Jong nach Bulgarien gebracht. Aktuell ist Ruse die einzige bulgarische Stadt, in der man Ergotherapie studieren kann. Die Einsatzstellen sind daher derzeit auf soziale Institutionen, wie die Tagesbetreuung, und private Praxen beschränkt. In Krankenhäusern, Schulen und Psychiatrien gibt es aktuell nur vereinzelt Stellen für Ergotherapeut*innen. Die beiden Dozentinnen sind jedoch weiterhin dabei, dies zu ändern und die Einsatzstellen für Ergotherapeut*innen auszuweiten.

Wir erlebten den Austausch mit Liliya und Petiya als sehr bereichernd. Beispielsweise betonten sie, dass ihnen der Kontakt zu ausländischen Studierenden von Beginn an wichtig war, um Input aus Ländern zu bekommen, in denen die Ergotherapie ein bereits etabliertes Berufsfeld ist.

Ein großer Unterschied zum System in Deutschland ist, dass es in Bulgarien keine Verordnung eines Arztes braucht, um ambulant Ergotherapie zu erhalten. Die Einheiten müssen größtenteils selbst bezahlt werden und die Ergotherapeut*innen haben die Entscheidungsfreiheit über Therapiemethode, -frequenz und -dauer.


An den Wochenenden nutzen wir die Gelegenheit, verschiedene Orte des Landes zu erkunden. Das erste Wochenende verbrachten wir in der Hauptstadt Sofia. Dort ließen wir uns zwischen beeindruckenden Gebäuden durch die Stadt treiben und genossen kulinarische Spezialitäten. Wir nahmen außerdem an einer Stadtführung teil und erfuhren einiges über die faszinierenden und vielschichtigen historischen und politischen Hintergründe. Zufällig fand das größte bulgarische Derby der beiden Fußballvereine Sofias an dem Wochenende statt, zu dem Alina und Carlotta sich unter größtem Polizeiaufgebot trauten und eine Menge Feuerwerk, Rauch und Leidenschaft zu sehen bekamen.


Am zweiten Wochenende besuchte Leoni für eine Nacht Bukarest, die Hauptstadt Rumäniens und ließ sich von der Geschichte der Stadt und wunderschöner Architektur begeistern.

Währenddessen unternahmen Alina und Finja eine Wanderung durch die felsige Natur nahe Ruse. Mit Blasen an den Füßen und Muskelkater -aber glücklich- konnte danach die neue Praktikumswoche starten.

Unser letztes Wochenende verbrachten wir zusammen in der Stadt Warna. Diese liegt am schwarzen Meer und bescherte uns zwei sonnige Strandtage inklusive eines kurzen und eisigen Bades im Meer. Wir behalten diese Stadt als sehr touristisch, aber zu dieser Zeit dennoch ruhig, in Erinnerung.


Insgesamt blicken wir dankbar zurück auf knapp vier Wochen voller Eindrücke und werden vermutlich in den nächsten Tagen verwundert nach Kaffeeautomaten an jeder Ecke, Straßenkatzen und -hunden Ausschau halten. Trotz der Sprachbarriere konnten wir durch den Besuch der verschiedenen Einsatzstellen die Ergotherapie in Bulgarien kennenlernen. Im internationalen Vergleich steckt diese zwar noch sehr in den Kinderschuhen, gewinnt jedoch durch den engagierten Einsatz einzelner Therapeut*innen an Bedeutung und Verbreitung. Wir waren immer wieder erstaunt und fasziniert von der Energie und Motivation, die trotz mangelnder Voraussetzungen, niedriger Bezahlung und hohen Arbeitszeiten von den Ergos vor Ort erbracht wurden. Das Land und die Leute mit den Praktika kennenzulernen, ermöglichte uns Einblicke in die Kultur und das Leben vor Ort, die wir so als Touris nicht bekommen hätten. Wir werden das Entziffern der kyrillischen Buchstaben, die wunderschönen Sonnenuntergänge über der Donau, unsere herzlichen Gastgeber*innen und das köstliche Gebäck vermissen.

Vielen Dank für den Einblick in das Leben vor Ort und der ETOS für das Ermöglichen dieses Austauschs!

Довиждане – dovizhdane!

Comments


bottom of page